Um was geht’s?
Ansgar Baums und Thomas Ramge haben ein neues Buch vorgelegt: „Die Stunde der Nashörner – Wie Unternehmen die neuen geopolitischen Risiken managen“. Es ist das richtige Buch zur richtigen Zeit, insbesondere lesenswert für die Führungskräfte global vernetzter Unternehmen.
Normal ist nicht mehr normal
Im ersten Teil schildern die beiden Autoren nüchtern, aber unterhaltsam lesbar, wie sich die Welt in den letzten Jahren verändert hat. Sie zeigen, wie aus dem kuschelig geregelten, unipolaren Weltgarten der USA eine Savanne voller wilder Tiere wurde. Eine Welt vieler Gefahren also – einige davon gehen von Nashörnern aus.
Der Anfangsteil ist, frei von trockenen Themen wie unternehmerischem Risikomanagement, für Leser:innen jeglicher Couleur spannend. Ramge und Baums erzählen Geschichten von radikal pragmatischen Hidden Champions, von optimistischem Liberalismus und Pessimisten der alten Schule, von Bill Clinton und Henry Kissinger, vom globalen Sommermärchen, von Gleichgewichtsstörungen und vom Peloponnesischen Krieg.
Nach den ersten 70 Seiten ist klar: Die Welt ist nicht mehr normal. Jedenfalls nicht auf eine Weise normal, wie wir es uns im Schützenverein Verl oder im Nachbarschaftszentrum Schöneberg so vorstellen. Sie ist eher auf eine Weise normal, wie es ein nüchterner Rückblick auf die Menschheitsgeschichte erwarten ließe: mit regionalen Hegemonen, gelegentlichen Großfeldzügen und ständigen Rängeleien der Konkurrenten.
Graue Nashörner sind gefährlich, das ist lange bekannt
Während wir geopolitischen Greenhorns noch versuchen, uns zu erklären, warum sich Indien und China im Himalaya bekriegen und gleichzeitig große Freundschaftsgipfel abhalten, sagen Ramge und Baums: Die Akteure und ihre Interessen sind bekannt, ebenso die für Unternehmen relevanten Risikovektoren. Um in der titelgebenden Metapher zu bleiben: Die Existenz von Nashörnern ist nicht überraschend – genauso wenig wie die von ihnen ausgehenden Risiken.
Besonders im Fokus der Autoren steht die Rolle der Technologie in diesen Konflikten. Die Tiere der Savanne kämpfen mit Hörnern, Zähnen, Krallen und Muskelkraft. Wir Menschen hingegen tun dies mit ständig verbesserten Technologien. Früher waren es Äxte aus Stein und Schilder aus Holz, später Schwerter aus Bronze und Eisen oder Feuerpfeile mit Pech und Schwefel. Heute sind es Bits und Bytes, Cloud und KI, Drohnen und Batterien.
Im zweiten Teil des Buches geht es daher vor allem darum, die Risiken der neuen bipolaren Welt aktiv wahrzunehmen und kognitiv zu verstehen.
Geopolitische Muskeln aufbauen
Im dritten Teil gewähren die Autoren einen Blick hinter die Kulissen ihrer Arbeit als Risikoberater: geopolitische Risikoprofile, unternehmerische Fußabdrücke, Organisationsmodelle, Integrationsgrade, Decoupling und De-Risking sowie forensische Lieferkettenanalysen.
Das klingt natürlich weniger aufregend als die großen Geschichten aus Peking, Washington und dem antiken Athen, sollte aber zur Blaupause für die Unternehmenslenker:innen unserer Tage werden. Denn so wie die Elefanten auf Kreta dank der Gefahrlosigkeit ihrer kleinen Insel im Laufe der Jahrmillionen verzwergten, haben die Unternehmen Europas in der unipolaren Hegemonie der USA ihre geopolitischen Muskeln abgebaut. Sie haben Portfolio und Kosten optimiert, Lagerbestände minimiert, sich auf wenige große Lieferanten verlassen und diesen die Steuerung der Lieferkette überlassen.
Trifft ein derart verzwergter kretischer Elefant auf ein graues, afrikanisches Nashorn, ist das Ergebnis des Konflikts leicht vorherzusehen.
Leader Europas, kauft dieses Buch!
Das Buch ist wirklich zu empfehlen. Wer Geschichten mag, liest den ersten Teil zweimal, wer sein Unternehmen fit machen möchte, den letzten Teil dreimal. Wer wenig Zeit hat, ist schon mit den Hauptthesen auf Seite 19 und dem fünfseitigen Wrap-up am Ende gut bedient.
In Summe stimmt das Buch übrigens optimistisch. Setzen nur genügend Organisationen in Europa ein entsprechendes Risikomanagement um, lässt sich das scheinbare Chaos der Weltpolitik in überschaubare Risikoszenarien übersetzen – und daraus leistungsfähigere, agilere und erfolgreichere Unternehmen entwickeln.