Warum sich KI dem Tal der Enttäuschung nähert

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03.05.2025
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China hat überinvestiert in KI-Infrastruktur. Zahlreiche Rechenzentren stehen ungenutzt herum, die Schmuggler bleiben auf ihren kostbaren NVIDIA-Grafikkarten sitzen. Selbst Microsoft beginnt, einige Data-Center-Entwicklungsprojekte zu überdenken. Einiges spricht also dafür, dass sich der Hype um die künstliche Intelligenz etwas abschwächt.

Das Plateau der Produktivität ist noch fern

Der Bundesverband der Digitalwirtschaft konstatiert lapidar: „Wir befinden uns längst im Tal der Desillusionierung.“ Dieses Tal ist fester Bestandteil des Musters der Adoption neuer Technologien in Unternehmen: Eine neue Technologie wird erfunden, sie begeistert und führt zu Enthusiasmus sowie hohen Erwartungen. Diese werden gestützt durch revolutionäre, wenngleich vereinzelte Use Cases. Danach durchläuft die Technologie das 'Tal der Desillusionierung', auch als 'Tal der Enttäuschungen' bekannt. Mit der Zeit allerdings reift sie, Unternehmen lernen, mit ihr umzugehen, das „Plateau der Produktivität“ wird erreicht.

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Bild 1: KI nähert sich dem Tal der Enttäuschung.

KI, so scheint es, erreichte 2023 den „Gipfel der überzogenen Erwartungen“, seitdem geht es erst einmal abwärts, zumindest mit den Erwartungen.

Seit 1995 durchliefen viele Dinge des heutigen Alltags das von Gartner beschriebene Muster: Voice-over-IP, Mobiltelefone, Bluetooth, Internet of Things, Big Data, 3D-Printing, Server-Virtualisierung und Cloud Computing. Alle diese Technologien waren einmal ein Hype, alle gingen durch das Tal der Tränen. Was nun können wir daraus lernen?

Der Elektromotor war auch einmal im Tal

Um diese Frage zu beantworten, hilft ein Blick in unsere Technologie-Geschichte. Bereits im Jahr 1834 entwickelte der deutsch-russische Physiker Moritz Jacobi den ersten praxistauglichen Elektromotor, doch im Jahr 1900 wurden immer noch 95% der amerikanischen Fabriken mit Dampfmaschinen versorgt.

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Bild 2: Alte Technologie, altes Firmen-Layout.

Solche Fabriken hatten in der Regel einen großen, zentralen Maschinenraum mit einer Dampfmaschine und großen Zahnradwerken. Die dort erzeugte Kraft wurde über Achsen und Riemen in die eigentlichen Fertigungsanlagen verteilt. Die Fabrik also wurde um den Maschinenraum konstruiert. Stand die zentrale Maschine still, stand auch die Fabrik still. Alles folgte dem zentralen Takt.

Als die Fertigungsleiter dieser Zeit überlegten, einen Elektromotor einzuführen, folgten sie dem gleichen Prinzip: Ein großer Elektromotor in einer zentralen Maschinenhalle - mit mechanischer Übertragung der Kraft in die Fertigung.

Was nun waren die Vorteile der neuen Technologie? Die Unternehmen benötigten weniger Kohle, die Motoren waren etwas weniger fehleranfällig. Dafür aber benötigte man Strom, auch Zahnräder, Achsen und Riemen waren weiterhin notwendig. Zusätzlich brachte die neue Technologie viele Nachteile: Investitionen in den Motor, Ausbildung der Mitarbeitenden und die Anbindung an das Stromnetz.

Das Plateau der Produktivität zu erreichen, ist keine technische Aufgabe

Irgendwann dann waren Stromnetze gelegt und genug Elektroingenieure verfügbar. Eine neue Managergeneration übernahm die Führung. Diese schaute sich Technologie und Unternehmen mit frischen Augen an und dachte: „Wir brauchen ja Zahnräder, Achsen und Riemen gar nicht.“ Wir beschaffen einfach viele kleine Elektromotoren und legen Stromleitungen an die Arbeitsplätze.

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Bild 3: Neue Technologie, neues Firmen-Layout.

Wir Menschen benötigten also einige Jahrzehnte, um festzustellen: Fabriken müssen gar nicht um den Elektromotor herum gebaut werden. Der Elektromotor kann genau dort stehen, wo es für die Produktion, die Mitarbeitenden und die Wertschöpfung am besten ist. Und siehe da: Der Weg war frei zum Plateau der Produktivität. Dorthin gelangen konnte er, weil Führungskräfte begannen, die Unternehmens-Prozesse, die Steuerung dieser Prozesse und deren Infrastruktur basierend auf den Stärken und Eigenheiten der neuen Technologie auszurichten.

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Bild 4: Unternehmens-Steuerung und Prozesse sind eng verzahnt mit der heutigen Technologie.

Die Cloud kennt das Tal auch

25 Jahre Konzernerfahrung haben mich gelehrt: ManagerInnen verändern ihr Verhalten nicht aufgrund von Analogien zur Dampfmaschine. Zu lange her, nicht vergleichbar, ganz andere Situation. Daher nun ein Blick auf den letzten großen Mega-Trend.

2006 erfunden, begeisterte sie schnell die InnovatorInnen. 2012 dann aber ging es abwärts mit den Erwartungen. Cloud-Technologien, so stellten die AnwenderInnen fest, sind nicht in allen Fällen nötig, stiften kaum Nutzen, wenn sich die Anforderungen nie ändern und sind häufig sogar teurer. Insbesondere klassische IT-Admins schworen beim Leben ihrer Mutter: Die Cloud ist nur eine Mode und geht wieder weg. Daraufhin folgten jahrelange Debatten über Cloud-Service-Portale und Cloud-Broker, es gab Kosten- und Leistungsvergleiche, die Beratungshäuser gaben sich die Klinke in die Hand. In etwa das, was gerade in der Verwaltungsdigitalisierung passiert.

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Bild 5: Auch die Cloud befand sich einmal im Tal der Tränen

Um die Produktivität mit KI zu steigern, müssen sich Unternehmen transformieren

Die klassische IT hätte den Trend wohl nach Kohl- und Merkelscher Manier ausgesessen, wären da nicht die Fachabteilungen gewesen. Genervt von dem Unverständnis der eigenen KollegInnen und getrieben vom Wettbewerb begann diese zu handeln. Ihre Mitarbeitenden surften im Netz, suchten sich ein Cloud-Tool, das ihr Fachproblem löste und probierten es kostenlos aus. Auf diese Weise ausgestattet mit Argumenten, erhielten sie die Finanzmittel für die dauerhafte Nutzung und lösten so den beispiellosen Boom der Software-as-a-Service-Angebote der 2010er Jahre aus.

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Bild 6: Cloud-native Organisationen reüssierten in den 2010er-Jahren.

Es war also doch etwas dran an der Cloud. Es bedurfte lediglich einer Umstellung der Geschäftsmodelle (Pay-as-you-go, Freemium) und der inneren Organisation (agile und interdisziplinäre Produkt-Teams, DevOps, CI/CD). 

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Bild 7: Von klassischer IT zur cloud-native IT.

Den KollegInnen aus dem klassischen Rechenzentrum ist diese Fehleinschätzung nicht übelzunehmen, denn: Wie sollen ExpertInnen für Dampfmaschinen wissen, wie Geschäftsmodelle und Fertigungs-Layout zu ändern sind, wenn das Unternehmen auf Elektromotoren umstellt?

Unternehmen, die sich rechtzeitig auf die Eigenheiten der Cloud-Technologie eingestellt haben, wurden mit außerordentlichem Erfolg belohnt. Microsoft etwa stellte früh seine Lizenzmodelle um (von Kauf auf Miete), ergänzte sein Office-Paket um Cloud-Betrieb (Microsoft 365) und kreierte mit Microsoft Azure die Basis für ein jahrzehntelanges Zusatzwachstum.

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Bild 8: Neue Paradigmen, neue Gewinner

Unternehmen hingegen, die diesen Wandel versäumten, verschwanden vom Markt – oder kämpfen seither einen Rückzugsgefecht.

Erfolgreiche Unternehmen werden 'AI Native'

Die Lehre aus der Geschichte also lautet: Unternehmen müssen sich in ihrem Aufbau und ihren Geschäftsmodellen an die neuen Technologien anpassen. Bei der Cloud-Welle wurden Organisationen, die voll angepasst an diese Technologie entstanden, Cloud Native genannt. Bezogen auf die Welle der künstlichen Intelligenz nun müssen wir uns also zu AI-Native-Organisationen weiterentwickeln.

Was Cloud Native für Unternehmen bedeutet, haben wir in den vergangenen 20 Jahren herausgefunden. Was AI Native aber genau bedeutet, das findet die Welt gerade heraus. China und Microsoft haben also nicht über-investiert in sinnlose KI-Infrastruktur, sie waren lediglich etwas zu schnell. Zu schnell für die Kunden, die erst einmal Organisation, Prozesse, Governance und Infrastrukturen an die neuen technologischen Paradigmen der künstlichen Intelligenz anpassen müssen.

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