Gerald Boyne ist IT-Security-Architekt und -Berater mit langjähriger Erfahrung in der Modernisierung komplexer IT-Landschaften. Er begleitet mittlere und große Unternehmen bei Fragen rund um Cloud-Migration, Sicherheitsarchitektur und Lieferantenmanagement – stets mit Blick auf das Zusammenspiel von Technologie, Regulierung und geopolitischem Risiko. Zuvor war er mehrere Jahre bei AWS tätig und kennt daher die Perspektive eines führenden Hyperscalers aus erster Hand.
Gregor: Wenn die USA uns digital ärgern wollten – was würden sie tun?
Gerald: Eigentlich hätten weder die großen US-Tech-Konzerne noch die amerikanische Volkswirtschaft ein Interesse daran, Europa digital zu schädigen. Die Märkte sind zu eng verflochten, die gegenseitige Abhängigkeit zu groß. Aber Trump ist nicht die US-Wirtschaft – er ist Trump. Ihn treiben Ego, Schlagzeilen und das Bedürfnis, Macht zu demonstrieren und Deals zu erzwingen. Deshalb müssen wir ihn in solchen Szenarien weniger als Vertreter rationaler US-Interessen sehen, sondern als Akteur mit einem ganz eigenen Antrieb.
Gregor: Also es geht bei dieser Frage mehr um Psychologie denn um Ökonomie?
Gerald: Genau. Wir werden jetzt alle ein bisschen zu Psychologen.
"Trump geht es nicht um Rationalität, sondern um sein Ego.“
Gregor: Welche Handlungsfelder in der Digitalwirtschaft hätte Trump denn für sein Ego konkret?
Gerald: Er hätte eine ganze Palette an Optionen, die er für seine Zwecke instrumentalisieren könnte. Am naheliegendsten ist die Public Cloud – dort würde er mit einem Schlag große Aufmerksamkeit erzeugen. Aber auch bei Endgeräten oder Betriebssystemen hätte er Hebel, etwa indem Updates oder Lizenzen von Softwareprodukten entzogen werden. Hinzu kommen zentrale Unternehmensdienste wie ein Active Directory von Microsoft, ohne das keine Anmeldung von Menschen und Computern in einem Unternehmensnetzwerk funktionieren würde. Und schließlich spielt auch Hardware eine Rolle: GPUs sind für das Training von KI-Modellen unverzichtbar, und ein Lieferstopp würde Europa massiv einschränken, wo wir doch gerade die KI-Gigafactories aufbauen wollen. Man sieht: Für Trump gäbe es nicht nur einen Knopf, sondern mehrere Stellschrauben, an denen er drehen könnte, je nachdem, wie groß er die Show anlegen will.
Gregor: Welche Ziel- oder Opfergruppen sind denn besonders gefährdet für seine Aktionen?
Gerald: Gezielt einzelne Unternehmen abzuschalten, halte ich für eher unwahrscheinlich – das wäre für Trump zu kleinteilig und bringt ihm zu wenig Schlagzeilen. Auch politische Institutionen wie die Europäische Zentralbank wären kaum ein primäres Ziel. Er sucht nicht die echte Auseinandersetzung oder eine inhaltliche Wirkung, sondern die große Bühne mit maximalem Effekt. Deshalb richtet sich sein Blick eher auf Hebel, mit denen er viele gleichzeitig treffen und medialen Druck aufbauen kann. Wenn überhaupt, würde er sich sicherlich mit der Betätigung einer der großen Hebel Cloud, Mobiltelefone, Unternehmens-IT oder PC-Betriebssysteme gehen.
„Europa digital selektiv abzuschalten, ist technisch kaum machbar – man würde zwangsläufig auch US-Unternehmen treffen.“
Gregor: Auf welche Probleme würde ein solcher Ansatz konkret stoßen?
Gerald: Ein großes Problem wäre die technische Umsetzbarkeit. Einen selektiven Eingriff nur gegen europäische Cloud-Nutzer durchzusetzen, ist enorm schwierig. Dienste wie Datenbanken oder Betriebssysteme laufen teils global, werden oft zentral gemanagt und versorgen Kunden in aller Welt. Wenn man hier versucht, Europa gezielt abzuschalten, trifft man fast zwangsläufig auch US-Unternehmen mit Niederlassungen in Europa oder internationale Konzerne, die dieselben Systeme nutzen. Diese Unschärfe macht den Ansatz schwer kontrollierbar und hochriskant. Zudem würden die Tech-Unternehmen aus Selbstschutz Rechtsmittel gegen eine solche Weisung einlegen.
Gregor: Also wir halten fest, Trump hat das Ego für solche Aktionen und er hätte die Mittel. Für wie wahrscheinlich hältst du aber ein solchen Szenario?
Gerald: Für ein solches Szenario spricht, dass Trump kein enges Verhältnis zum klassischen Big Tech hat. Ihm sind diese Unternehmen eher egal, und er hätte auch keine Hemmung, sie unter Druck zu setzen.
Gegen ein solches Szenario spricht aber, dass er genug andere Mittel hat, sein Ego zu befriedigen. Er kann Europa mit Zöllen ärgern – das ist ohnehin sein Lieblingsthema. Und er kann Waffenlieferungen zurückhalten. Eine zusätzliche Baustelle aufzumachen, noch dazu eine so komplexe wie die digitale Infrastruktur, halte ich deshalb für eher unwahrscheinlich. Denn die Tech-Anbieter sehen Europa als Wachstumsmarkt, sie investieren massiv in ihre europäische Infrastruktur und haben ein starkes wirtschaftliches Interesse diese Investitionen zu schützen.
Gregor: Würde er es, trotz aller Gegenargumente, trotzdem tun, welche Trümpfe hätte Europa dann überhaupt noch?
„Technologie-Blockaden stärken langfristig oft die Eigenständigkeit der Betroffenen – das sehen wir gerade in China.“
Gerald: Bei einem direkten, digitalen Tit-for-Tat würde Europa klar unterliegen. Neben SAP haben wir kaum direkte Gegendruckmittel. Allerdings könnte die europäische Antwort sein, dass die europäischen Niederlassungen der US-Tech-Unternehmen keine Zuarbeit mehr in Richtung der USA liefern dürften. Die europäischen Entwicklungszentren in Berlin, München, Schweiz und z.B. Dublin würden entweder nur noch für den europäischen Markt arbeiten oder falls nicht anders machbar sogar (temporär) geschlossen werden. Die rechtlichen Mittel gegen ein solch fast schon kriegerischen Akt liegen vor, ein Technologieembargo wäre ein tatsächlicher Notstand.
Zurückrudern würde Trump zudem aufgrund der engen wirtschaftlichen Verknüpfung europäischer und US-Unternehmen. Wenn Procter & Gamble oder McDonald’s in Europa nicht mehr arbeiten könnten, wenn die Aktienkurse der Top-10-US-Unternehmen – fast alle Big Tech – einbrächen, dann würde er den Zirkus sehr wahrscheinlich zügig beenden. Oder zumindest in eine andere Phase überführen. Und einen weiteren „Adverse Effect“ von Technologie-Blockaden sehen wir gerade in China.
Gregor: Du meinst den Verbot des Exports von High-Tech-GPUs?
Gerald: Genau. Der Exportstopp von High-Tech-GPUs nach China sollte ursprünglich Peking schwächen. In der Praxis sehen wir aber, dass er nur den Eigenentwicklungsdruck erhöht hat. China investiert nun noch mehr in eigene Chips und alternative Architekturen. Der kurzfristige Schaden ist spürbar, aber langfristig stärkt eine solche Blockade paradoxerweise oft die technologische Eigenständigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des Betroffenen.
Echte europäische Hyperscaler auf Basis der bestehenden EU-Cloud-Provider aufzubauen, wäre – sollte der Zugang zu AWS & Co. versperrt werden – technisch deutlich einfacher, als in China die gesamte globale Chip-Supply-Chain nachzubilden. In Washington reift daher zunehmend das Verständnis, welche Dynamiken und Nebenwirkungen Technologie-Blockaden tatsächlich auslösen.
Gregor: Gerald, vielen Dank für Deine Zeit!