Die zwei Trugschlüsse der souveränen Cloud

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23.11.2023
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5 min Lesedauer
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Seit gut zwei Jahren gibt es eine verstärkte Debatte in Deutschland rund um die souveräne Cloud. Dabei beobachte ich zwei Entwicklungen, beide halte ich für grundsätzlich gut. Bezogen aber auf das Ziel einer wirklichen Souveränität Europas, scheinen mir beide ein Trugschluss.

Das Sovereign-Cloud-Washing

Das Prinzip ist bekannt vom Green-Washing. Ein „braunes“ Unternehmen wie VW startet eine grüne Kampagne, etwa zum „Clean Diesel“, in Wirklichkeit aber ändert sich nichts, das Produkt bleibt braun wie zuvor auch.

Ein Beispiel für „Sovereign-Cloud-Washing“ ist VMware. Das Unternehmen verkauft seinen Produktklassiker nun als „VMware Sovereign Cloud“, wenngleich sich weder die wirtschaftlichen Abhängigkeiten zum Unternehmen, noch die geopolitischen Abhängigkeiten zu den USA relevant verbessert haben. Zur Erinnerung: Ein erratischer US-Präsident könnte uns jede closed-source-Software aus den USA genauso abstellen, wie Trump dem chinesischen Huawei-Konzern den Android-Support von Google entzog.

Gleiches Sovereign-Washing könnte man Oracle (Oracle Sovereign Cloud) und AWS (AWS European Sovereign Cloud) vorwerfen. Beide beantworten zwar Datenschutzfragen, ähneln in ihrer Souveränität aber eher der Microsoft-EU-Datengrenze (siehe Interview mit Lutz Keller). Jegliche Abhängigkeiten bleiben.

Die Autarkie im Souveränitäts-Pelz

Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es eine Fraktion, die derart hohe Anforderungen an Souveränität stellt, dass diese mit der Autarkie identisch wird. Alles muss Open Source sein, jedes Update muss das BSI vorab analysieren, es darf keinerlei Abhängigkeiten geben zu einzelnen Lieferanten - die Liste ist lang.

Hier stellt sich die Frage: Ist Deutschland in irgendeiner Domäne gemäß dieses Anspruchs souverän? Bei Düngemitteln dominieren Russland, Kanada und China den Markt. Bei Arzneimitteln sind wir abhängig von Asien, bei Lithium und Solar von China, bei Kohle von Indonesien und Australien. Warum sind wir ausgerechnet bei dem Thema Digitalisierung, bei dem wir derart hinterherhängen, so kritisch, wenn es darum geht, für unsere BürgerInnen Nutzen zu erzeugen?

Es geht um Geopolitik und wirtschaftliche Macht

Der Bitkom sprach schon 2015 von einem Spektrum. Souveränität grenzt sich auf der einen Seite ab von der digitalen Abhängigkeit („Andere entscheiden, was wir tun“) und auf der anderen Seite von der Autarkie („Wir machen alles selbst“). Ersteres würde dem Machtanspruch von Deutschland und Europa nicht gerecht, letzteres ginge einher mit ungewünschten Einbußen bei der Leistungsfähigkeit. Souveränität fokussiert sich demnach auf „eigene Fähigkeiten auf weltweitem Spitzenniveau“ für „zentrale Technologiefelder“, nicht aber auf „alle Schlüsseltechnologien“.

Worum geht es konkret in der Debatte um die souveräne Cloud? Es geht nicht um physikalische oder IT-Sicherheit, hier sind US-Lösungen häufig exzellent. Es geht auch nicht um wirtschaftliche Abhängigkeiten zu Einzelunternehmen: Dass Deutschland gerne etwas mehr zahlt, als es müsste, hat es bei der Corona-Warn-App gezeigt. Aus staats-strategischer Sicht sind es ohnehin Peanuts. Auch ein möglicher Zugriff von US-Behörden über FISA oder CloudAct kann nicht das Problem sein, denn US-Geheimdienste gelangen auch heute schon an alle Daten, die sie wirklich interessieren.

Es geht um etwas anderes: Der Fall Android/Huawei hat gezeigt, wie einfach die USA ihre Technologie nutzen können, um ihre geopolitischen Ziele zu verfolgen. Und die Kennzahlen der US-Digitalkonzerne zeigen: Es geht auch um wirtschaftliche Macht.

Angriff oder Verteidigung?

Was also können Deutschland und Europa tun, um im Spiel um geopolitische und wirtschaftliche Macht wieder am Tisch zu sitzen? Ich sehe zwei Strategien und nenne sie Angriff und Verteidigung:

Play Defense

Europa versucht für alle Technologien, die von anderen entwickelt werden, eine lokale, souveräne Variante zu kreieren. Als die Server-Virtualisierung zum heißen Ding wurde (VMware wurde 1998 gegründet), kam 8 Jahre später die Open-Source-Alternative KVM nach, inzwischen gibt es glücklicherweise den Sovereign Cloud Stack. Amazon ging 2006 an den Markt, etwa 20 Jahre später wird es souveräne Clouds geben. Heute reden alle über ChatGPT, also rennen wir mit Aleph Alpha hinterher.

„Wir rennen hinterher“, so könnte man die Variante Verteidigung auch nennen. Souveränität fühlt sich hier an nach dauerhaftem Leistungsverzicht, ergo Autarkie.

Play Offense

Europa investiert intensiv in die eigene digitale Leistungsfähigkeit, insbesondere in die Technologie-Sprünge der Zukunft. Dass dies gelingen kann, zeigen private wie staatliche Akteure immer wieder. Taiwan hat sich seine Schlüsselrolle in der Chip-Industrie strategisch erarbeitet, gleiches gilt für Chinas Solarbranche. OpenAI hat als Privat-Unternehmen große Fortschritte erzeugt mit (im Vergleich zur Chip-Industrie) geringen Investitionen.

In dieser Variante entstünde Souveränität auf zweierlei Wegen:

  • Durch ein Gleichgewicht des Schreckens: Möglichen Drohungen aus Übersee könnten wir am Verhandlungstisch begegnen. Wenn ihr uns keine Chips liefert, dann liefern wir keine Chip-Maschinen mehr. Wenn ihr uns Office ausschaltet, dann schalten wir euch die Buchhaltung ab. Aber für ein echtes Gleichgewicht im exponentiellen Wettlauf der Digitaltechnologien braucht es mehr als nur SAP und ASML.
  • Durch Sach-Kompetenz: Zu Beginn des Jahres ging ein Post von David Heinemeier-Hansson viral. Der Entwickler des Web-Frameworks Ruby-on-Rails zeigte auf charmante Weise, wie er sein Unternehmen von den finanziellen Fesseln der Public Cloud befreite. Was er vergaß zu erwähnen? Dies gelang ihm nur, weil er und seine Software-Entwickler das Sachwissen hatten, „einfach mal so“ eine eigene Cloud aufzubauen und sie nebenher zu betreiben.
Modellstrategien zur digitalen Souveränität

Mit Visionen nicht zum Arzt gehen, sondern zum Investor

Für die Variante „Angriff“ müssen wir in Europa aber an zwei Dingen arbeiten: An unserer Entrepreneurs-Kultur und an der Verfügbarkeit von Risikokapital. Es muss cool sein, etwas zu wagen, wir müssen die besten Leute weltweit anlocken, sie ermutigen und ihnen nicht kleinkrämerische Finanzcontroller auf den Hals hetzen. Im Gegenteil, wir müssen sie mit Kapital ausstatten, das ihnen die globalen Siegeszüge der Tiktoks und OpenAIs dieser Welt erlaubt.

An einigen Stellen nehme ich übrigens erste, positive Tendenzen des Umdenkens wahr:

Nur um im internationalen Wettrennen wirklich aufzuholen, würde mehr Kapital für mehr Experimente von mehr UnternehmerInnen sicherlich mehr helfen.

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